BGH zur Aufhebung des Vergabeverfahrens und daraus resultierenden Schadensersatzansprüchen

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Der Bundesgerichtshof (BGH) setzt sich in einer neuen Entscheidung mit einer Reihe von Fragestellungen auseinander, die im Zusammenhang mit der Aufhebung eines laufenden Vergabeverfahrens immer wieder die vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen beschäftigen.
Der Senat bestätigt zunächst seine Rechtsprechungslinie, nach der die Bieter die Aufhebung eines laufenden Vergabeverfahrens in aller Regel auch dann hinnehmen müssen, wenn keiner der in den Vergabe- und Vertragsordnungen benannten Gründe (vgl. §§ 17 EG Abs. 1 VOB/A, 20 EG Abs. 1 VOL/A) dies rechtfertigt. Ein durchsetzbarer Anspruch auf Fortführung eines Vergabeverfahrens (sog. „Aufhebung der Aufhebung“) kommt danach nur ganz ausnahmsweise in Betracht, wenn dafür besondere Gründe sprechen. Als Beispiel benennt der BGH eine Konstellation, in der eine Scheinaufhebung verfahrensmissbräuchlich einzig zu dem Zweck erfolgt, den Auftrag rechtswidrig außerhalb des Verfahrens zu erteilen. Wenn eine solche, jeweils im Einzelfall festzustellende Situation nicht gegeben ist, kann die Vergabestelle also ein laufendes Verfahren in jedem Stadium bis zum Zuschlag aufheben. Dadurch eröffnet sich öffentlichen Auftraggebern beispielsweise die Möglichkeit, auf Defizite in den Vergabeunterlagen zu reagieren oder einem mittlerweile veränderten Beschaffungsbedarf Rechnung zu tragen. Insoweit bestätigte der Senat ausdrücklich die insbesondere vom OLG Düsseldorf immer wieder besonders hervorgehobene Reichweite des Leistungsbestimmungsrechts des Auftraggebers.
Unberührt von der Zulässigkeit der Aufhebung an sich bleibt indes die Möglichkeit der am Verfahren beteiligten Bieter, aufgrund der nicht durch einen der gesetzlich abschließend geregelten Aufhebungsgründe gerechtfertigten Aufhebungsentscheidung Schadensersatzansprüche gegen den Auftraggeber geltend zu machen.
Der Senat legt hierbei für eine Verfahrensaufhebung an den Auffangtatbestand eines „besonders schwerwiegenden Grundes“ strenge Maßstäbe an. Danach stellt insbesondere die – in die Risikosphäre des Auftraggebers selbst fallende – Notwendigkeit zur Korrektur eines vergaberechtlichen Fehlers des Auftraggebers bei der Verfahrensvorbereitung keinen schwerwiegenden Grund im Sinne des § 17 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A dar. Eine Freistellung des Auftraggebers von den Folgen seines eigenen Handelns ist mit den im Rahmen einer Aufhebungsentscheidung stets angemessen zu berücksichtigenden Interessen der am Verfahren beteiligten Wirtschaftsteilnehmer nicht zu vereinbaren.
Schließlich bestätigt der Senat auch die bisher herrschende Auffassung zur Reichweite der Bindungswirkung des § 124 Abs. 1 GWB im Schadensersatzprozess und stellt fest, dass das Zivilgericht im Nachgang eines Nachprüfungsverfahrens an die bestandskräftige Feststellung von Vergaberechtsverletzungen durch den Auftraggeber gebunden ist. Daher ist neuer Vortrag des beklagten Auftraggebers zur Frage seiner Pflichtverletzung erst im Schadensersatzprozess unbeachtlich. Alle sonstigen anspruchsbegründenden Voraussetzungen müssen dagegen im Schadensersatzprozess selbst dargelegt werden. Entsprechend folgt aus der Feststellung einer rechtsfehlerhaften Aufhebung nicht automatisch ein Ersatzanspruch aller beteiligten Bieter für ihre im Verfahren nutzlos getätigten Aufwendungen, also insbesondere ihre Angebotserstellungskosten. Deren Durchsetzung bleibt vielmehr weiterhin dem Schadensersatzprozess vor der Zivilgerichtsbarkeit vorbehalten.
Wollmann & Partner empfehlen öffentlichen Auftraggebern, trotz der grundsätzlich auftraggeberfreundlichen Rechtsprechung zu Verfahrensaufhebungen bereits im Nachprüfungsverfahren alles vorzutragen, was gegen die Feststellung einer möglichen Pflichtverletzung auf ihrer Seite sprechen kann. Soweit eine derartige Pflichtverletzung bestandskräftig festgestellt wird, kann dies – unabhängig von der Frage der Zulässigkeit der Aufhebung – im anschließenden Schadensersatzprozess nämlich weitreichende negative Folgewirkungen entfalten.

BGH, Beschluss vom 20.03.2014 – Az.: X ZB 18/13

RA Calle B. Plantiko