Privates Baurecht: Die Art und Weise der Bauausführung gehört zum Bauentwurf

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Zwischen den Parteien des vom OLG Hamm in der Berufung zu entscheidenden Rechtsstreites war umstritten, ob vom Auftragnehmer bei Vertragsabschluss angenommene Bauumstände Vertragsgrundlage werden und – sofern sich diese Umstände nach Vertragsabschluss nicht realisieren – zu einer Änderung des Bauentwurfes und damit zu einer Änderung der Vergütung führen können.

Im konkreten Fall bot ein Spezialtiefbauunternehmen Leistungen zur Ertüchtigung einer Eisenbahnunterführung im HDI-Verfahren im offenen Vergabeverfahren an. Mangels näherer Angaben in den Ausschreibungsunterlagen kalkulierte das Unternehmen damit, dass die anfallende Rücklaufsuspension in Erdbecken in unmittelbarer Nähe der Baustelle aufgefangen werden kann. Nach Zuschlagserteilung und Baubeginn musste das Unternehmen feststellen, dass nicht ausreichend Fläche für die erforderlichen Erdbecken zur Verfügung steht. Es bot daher die Sammlung der Rücklaufsuspension in Containern als Nachtragsleistung an. Die öffentliche Auftraggeberin wandte demgegenüber eine Regelung in den Vergabeunterlagen ein, in der den Bietern deutlich vorgegeben wurde, dass sie sich vor Angebotsabgabe vor Ort davon überzeugen müssen, wie die spätere Baustelle aussähe. Hätte die Auftragnehmerin dies getan, hätte sie nach Auffassung der öffentlichen Auftraggeberin den Platzmangel unschwer erkennen können. Das Unternehmen verlangte die Mehrkosten für den Einsatz der Container.

Das OLG Hamm folgte dem Standpunkt des Unternehmens und sprach den Mehrvergütungsanspruch zu. Es stützte die Entscheidung auf § 7 EG VOB/A 2012, nach der die Leistung eindeutig und erschöpfend so zu beschreiben ist, dass die Bieter die Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können. Das OLG entschied, dass das Unternehmen mangels konkreter Angaben zu den Möglichkeiten der Lagerung der Suspension unter den verschiedenen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten wählen durfte. Sie durfte daher auch mit Erdbecken kalkulieren. Diese sind als zulässige Kalkulationsgrundlage Bestandteil des vereinbarten Bauentwurfes geworden. Eine Verpflichtung der Bieter zur Ortsbesichtigung sah das OLG Hamm nicht, sondern vielmehr die überlagernde Verpflichtung der Vergabestelle, gemäß § 7 Abs. 1 EG VOB/A 2012 die auszuführenden Leistungen so auszuschreiben, dass sie der Bieter sicher kalkulieren kann.

Die Entscheidung verdeutlicht einmal mehr, dass in der Praxis weit verbreitete Besichtigungs- und Informationsklauseln häufig nicht helfen, in allgemeinen Geschäftsbedingungen sogar in vielen Fällen unwirksam sind. Den öffentlichen Auftraggeber, der das Vergaberecht anzuwenden hat, trifft die Pflicht zur erschöpfenden Ausschreibung in gesteigertem Maße.

OLG Hamm, Urteil vom 14.10.2016, Az.: 12 U 67/15
RA Daniel Wegener
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Wollmann & Partner Rechtsanwälte mbB, Berlin
wegener@wollmann.de