Privates Baurecht: Praxiserfahrungen ersetzen nicht anerkannte Regeln der Technik

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Für die Mangelfreiheit einer Werkleistung kommt es darauf an, ob die anerkannten Regeln der Technik eingehalten sind. Das gilt unabhängig von der Vereinbarung der VOB/B. Nur wenn die anerkannten Regeln der Technik eingehalten sind, ist eine Werkleistung mangelfrei. Immer wieder kommt es vor, dass der Begriff der anerkannten Regeln der Technik verwendet wird, ohne die konkreten anerkannten Regeln der Technik für eine betreffende Bauleistung korrekt zu benennen. In diesem Zusammenhang wird häufig auch die Rolle der Praxiserfahrung fehlerhaft bewertet.

Mit einem solchen Fall hatte sich das OLG Frankfurt/Main zu beschäftigen: Der Auftraggeber nahm den von ihm beauftragten Baugrundgutachter wegen eines von ihm erarbeiteten fehlerhaften Abdichtungskonzeptes in Anspruch. Die Empfehlung des Baugrundgutachters zur Abdichtung der Keller entsprach weder den Vorgaben der DIN 18195 Teil 5, noch den Vorgaben der DIN 18195 Teil 6. Der Baugrundgutachter stellte sich auf den Standpunkt, dass bei der Erarbeitung der Abdichtungslösung nicht auf die Einhaltung von „Formalismen“ ankommt, womit er die einschlägigen DIN-Normen meinte, sondern es komme auf die allgemein als richtig erkannte Praxiserfahrung an.

Diesen Einwand hielt das Gericht für unbeachtlich und begründet dies damit, dass sich schon aus dem Wortlaut in § 13 Abs. 1 VOB/B ergebe, dass nicht die Praxiserfahrung für die Beurteilung der Mangelhaftigkeit maßgeblich ist, sondern dass es auf die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik ankommt, zu denen auch die DIN-Normen gehören.

Diese im Ergebnis für den vom OLG Frankfurt/Main zu entscheidenden Fall richtige Lösung ist jedoch nicht verallgemeinerungsfähig. Unter den anerkannten Regeln der Technik sind alle bautechnischen Normen zu verstehen, die in der Wissenschaft als theoretisch richtig anerkannt sind und sich auch in der Baupraxis bewährt haben. Die jüngere Rechtsprechung zählt zu den anerkannten Regeln der Technik auch alle Qualitäts- und Komfortstandards, die bei vergleichbaren anderen, zeitgleich fertiggestellten Bauwerken erfüllt sind. Insofern spielt die Praxiserfahrung durchaus eine Rolle bei der Bestimmung der jeweils anzuwendenden anerkannten Regeln der Technik. Es kommt aber eben nicht vordergründig auf die Praxiserfahrung an, sondern eine anerkannte Regel der Technik liegt erst dann vor, wenn sich eine in Theorie und Wissenschaft als richtig erkannte technische Norm auch in der Baupraxis bewährt hat. Hinsichtlich der DIN-Normen greift eine Vermutung, dass die Werkleistung den anerkannten Regeln der Technik entspricht, wenn sie die einschlägigen DIN-Normen einhält. Insoweit kommt es weder allein auf die Praxiserfahrung, noch allein auf die Einhaltung technischer Normen an.

Die Entscheidung verdeutlicht, dass die anerkannten Regeln der Technik für eine Werkleistung mit großer Sorgfalt bestimmt werden sollten. Dies hat nicht nur Bedeutung für die Beurteilung der Mangelfreiheit, sondern auch für das geschuldete Bausoll. Plant der Auftragnehmer also Leistungen nicht ein, die aber zur Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik erforderlich wären, kann er für diese Leistungen nachträglich keine zusätzliche oder geänderte Vergütung fordern.

OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 31.01.2014, Az.: 2 U 85/12; BGH, Beschluss vom 30.07.2015, Az.: 7 ZR 52/14

RA Daniel Wegener

Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

Wollmann & Partner Rechtsanwälte, Berlin

wegener@wollmann.de