Vergaberecht: Aktuelles Urteil zur Aufklärungspflicht in der Vergabe bei sehr niedrigen Angeboten

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Die Erlangung des Zuschlages im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung stellt für den teilnehmenden Bieter in der Regel das oberste Ziel dar. Zwar sieht die gesetzliche Grundlage des Vergaberechts vor, dass dem wirtschaftlichsten Angebot der Zuschlag erteilt werden muss, in der Praxis ist jedoch meist der angebotene Preis ausschlaggebend, da dieser von vielen AG´s als einziges Zuschlagskriterium angegeben wird. Hier spielen sogenannte Unterangebote eine besondere Rolle. Solche liegen dann vor, wenn sie erheblich, meist deutlich mehr als 10 Prozent von dem nächst günstigen nach unten abweichen. Wie mit diesen umzugehen ist, stellt in der Praxis immer wieder ein Problem dar, weshalb die aktuelle Rechtsprechung der Vergabekammer Bund (VK Bund) besonders beachtenswert ist.

Die VK Bund hatte in einer aktuellen Entscheidung darüber zu entscheiden, wie mit Unterbzw. Überangeboten von Seiten des AG´s umgegangen werden muss. Dabei wurden von der VK Bund in ihrem Beschluss vom 12.01.2018 folgende Leitsätze herausgearbeitet:

  • Erscheint ein Angebot, bezogen auf den Gesamt- oder Endpreis, ungewöhnlich niedrig, hat der Auftraggeber vor Ablehnung des Angebots vom jeweiligen Bieter in Textform Aufklärung über die Ermittlung der Preise für die Gesamtleistung oder für Teilleistungen zu verlangen. Auf ein Angebot mit einem unangemessen hohen oder niedrigen Preis darf der Zuschlag nicht erteilt werden.
  • Bezüglich der Frage, ob ein Angebotspreis eine Aufklärungspflicht auslöst, ist zunächst auf den Vergleich der Endpreise der abgegebenen Angebote abzustellen. In einem weiteren Schritt kommt es sodann darauf an, ob dem Auftraggeber der Preisabstand unangemessen niedrig „erscheinen“ muss.
  • Ein Preisabstand von mindestens 20% indiziert ein unangemessen niedriges Erscheinen und löst dann auch erst eine entsprechende Aufklärungspflicht des öffentlichen Auftraggebers aus.

Wollmann & Partner kommentiert diese Entscheidung, weil die Frage, wann ein sehr niedriges Angebot vom AG zu überprüfen und gegebenenfalls auszuschließen ist, Praxisrelevanz besitzt. Gerade andere Bieter sehen sich oft im Besonderen benachteiligt, wenn sie durch den Zuschlag an ein besonders niedriges Angebot vergebens an einem Vergabeverfahren teilgenommen haben. Andererseits will kein AN, der ein besonders attraktives Angebot eingereicht hat, einfach auf Grund der Preisdifferenz zum nächsten Angebot ausgeschlossen werden. Die aktuelle Rechtsprechung der VK Bund gibt hier nun mehr Rechtssicherheit und baut auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) auf. So gestand der BGH (BGH, Beschl. v. 31.01.2017 – X ZB 10/16) den anderen Bietern zu, sich ebenfalls auf die Einhaltung der Vorgaben des § 60 Abs. 3 VgV (sowie der parallelen Vorschriften in VOB/A und VOL/A) berufen zu können.

Das Verbot des Zuschlags auf ein Unterkostenangebot konkretisiere den Wettbewerbsgrundsatz (§ 97 Abs. 1 GWB). Da ein Verstoß die Position der übrigen Bewerber betrifft, könnten diese sich auf die Einhaltung der Vorschriften berufen. Es besteht damit ein Anspruch der Wettbewerber, dass der Auftraggeber die Prüfung vornimmt. Der AG muss sich daher, wenn die entsprechenden Indizien bestehen, selbstständig um eine Prüfung kümmern. Verläuft diese Überprüfung für den AN negativ, muss der AG den Zuschlag ablehnen. Das Wort „dürfen” in § 60 Abs. 3 VgV bedeutet nicht, dass die Ablehnung eines Angebots im Belieben des AG´s steht. Vielmehr ist die Ablehnung des Angebots grundsätzlich geboten, wenn verbleibende Ungewissheiten nicht zufriedenstellend aufgeklärt werden könnten. Ein zu geringer Angebotspreis birgt darüber hinaus für den AG die Gefahr, dass der AN in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten kann.

VK Bund, Beschluss vom 12. Januar 2018 – VK 2-148/17

Rechtsanwalt Rüdiger Schilke

Fachanwalt für Bau und Architektenrecht

Wollmann & Partner Rechtsanwälte mbB, München

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