Die Auslegung einer Position aus dem Leistungsverzeichnis kann auch gegen den (eindeutigen) Wortlaut erfolgen!

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Das OLG Dresden hatte in einem Berufungsverfahren einen Vergütungsanspruch des Auftragnehmers geprüft und sich in diesem Zusammenhang mit der Auslegung einer LV-Position, konkret den von dieser LV-Position erfassten Leistungen, befasst.

Die Parteien schlossen nach öffentlicher Ausschreibung einen Bauvertrag über die Errichtung einer Spundwand zur Uferbefestigung eines Hafenbeckens. Die LV-Position 01.03.3000 sah gemäß Leistungsbeschrieb die Lieferung und Montage von Doppelbohlen mit Eckprofilen vor. Konkret waren 14 Stück Eckprofile und im Vordersatz eine Menge von etwa 2 Tonnen benannt. Die LV-Positionen 01.03.2700 bzw. 01.03.2900 sahen gesondert die Kalkulation von Doppelbohlen vor. Der von der Klägerin (AN) unter LV-Position 01.03.3000 kalkulierte Einheitspreis war um ein Vielfaches höher als die Einheitspreise derjenigen LV-Positionen, in denen die Doppelbohlen selbst zu kalkulieren waren. Nach Fertigstellung der Arbeiten hat die Klägerin in der Schlussrechnung unter LV-Position 01.03.3000 sowohl die Tonnage für Eckprofile als auch teilweise für Doppelbohlen abgerechnet. Die Beklagte vergütete lediglich etwa 2 Tonnen, die dem Gewicht der zu liefernden Eckprofile entsprachen. Die Klägerin vertrat erstinstanzlich die Auffassung, dass in der streitgegenständlichen LV-Position 01.03.3000 Doppelbohlen ausdrücklich benannt seien und wegen des eindeutigen Wortlauts jedenfalls teilweise, soweit sie mit Eckprofilen zu liefern und zu montieren waren, unter dieser Position abzurechnen seien und begehrte deshalb entsprechende Vergütung. Demgegenüber vertrat die Beklagte die Auffassung, dass aus dem Vordersatz von ca. 2 Tonnen und dem hohen kalkulierten Einheitspreis sowie den übrigen LV-Positionen, die ausdrücklich eine Kalkulation von Doppelbohlen vorsahen, für die Klägerin bei der Angebotsbearbeitung ersichtlich war, dass unter LV-Position 01.03.3000 Doppelbohlen nicht abzurechnen waren und ihr deshalb unter dieser Position kein weitergehender Vergütungsanspruch zustehe.

Sowohl das LG Leipzig als auch das OLG Dresden teilen diese Auffassung der Beklagten. Bei der Auftragskalkulation musste für die Klägerin trotz des eindeutigen Wortlauts des LV erkennbar gewesen sei, dass von der LV-Position 01.03.3000 Doppelbohlen nicht erfasst sein sollten. Das Leistungsverzeichnis sei nach Auffassung des OLG nach dem objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter und mit den anderen zur Verfügung stehenden vertraglichen Unterlagen als sinnvolles Ganzes auszulegen. Diese Auslegung ergebe, dass von LV-Position 01.03.3000 erkennbar nur die Eckprofile erfasst werden sollten. Insoweit entspräche das Gesamtgewicht der in dieser Position genannten 14 Eckprofile dem in dieser Position im Vordersatz benannten Gewicht von etwa 2 Tonnen. Für einen Kalkulator sei damit erkennbar gewesen, dass der hohe Einheitspreis ausschließlich nur für das geringere Gewicht der Eckprofile, nicht aber auch der Doppelbohlen gelten könne. Im Übrigen ergebe die Auslegung der übrigen LV-Positionen, dass die Doppelbohlen von diesen abschließend abgegolten werden. Im Ergebnis vermöge selbst der eindeutige Wortlaut der LV-Position 01.03.3000, der ausdrücklich auch von Doppelbohlen spricht, eine Abrechnung der Doppelbohlen unter dieser Position nicht zu rechtfertigen.

Wollmann & Partner kommentiert diese Entscheidung, da sie die besonders praxisrelevanten für Bauverträge geltenden Auslegungsgrundsätze weiter konkretisiert. Die Entscheidung zeigt, dass im Rahmen der Auslegung der gesamte Inhalt des Vertrages zu berücksichtigen ist, so dass die Auslegung auch zu einem Verständnis führen kann, die einem insoweit klaren Wortlaut entgegensteht. Bei öffentlichen Ausschreibungsverfahren kommt dabei dem Verständnis der potenziellen Bieter besondere Bedeutung zu. In einem Bieterverfahren müssen die Ausschreibungsunterlagen deshalb stets kritisch im Gesamtgefüge des Bauvertrages hinterfragt werden, ohne sich dabei auf – vermeintlich – klare und eindeutige Formulierungen zu verlassen.

OLG Dresden, Urteil vom 17.04.2012, Az.: 5 U 842/11

RA Michael M. Zmuda