Nebenangebote im reinen Preiswettbewerb: BGH lässt „OLG-Flickenteppich“ bestehen

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Dem Bundesgerichtshof lag die seit Jahren umstrittene Rechtsfrage vor, ob Nebenangebote auch in Vergabeverfahren zulässig sind, bei denen allein der niedrigste Preis über die Auftragserteilung entscheidet. Diese Streitfrage ist sehr praxisrelevant, denn die öffentlichen Auftraggeber lassen in ihren Bauvergabeverfahren Nebenangebote regelmäßig auch dann zu, wenn der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist. Das für die Vergabeverfahren des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen zuständige OLG Düsseldorf hielt diese Nebenangebotszulassung im reinen Preiswettbewerb in ständiger Rechtsprechung für unzulässig. Nachdem das OLG Schleswig inzwischen gegenteilig entschieden hatte, sah sich das OLG Düsseldorf zur Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof veranlasst.

Das OLG Düsseldorf leitet seine Auffassung daraus her, dass die Erteilung des Zuschlags nach Art. 53 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG entweder ausschließlich nach dem Kriterium des niedrigsten Preises oder auf das gemäß verschiedener, festgelegter Kriterien (Qualität, Preis, technischer Wert, Ästhetik etc.) wirtschaftlich günstigste Angebot erfolge, während Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie nach seinem Wortlaut Nebenangebote lediglich bei Aufträgen zulasse, die nach dem insgesamt wirtschaftlich günstigsten Angebot vergeben werden. Hieraus ergebe sich im Umkehrschluss, dass Nebenangebote bei Vergaben allein nach dem Kriterium des niedrigsten Preises nicht zugelassen seien (Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf vom 02.11.2011 – Verg 22/11). Das OLG Schleswig wollte diesen Rückschluss nicht ziehen, weil die Richtlinie der Zulassung von Nebenangeboten besonders offen gegenüberstehe. Diese würden den Wettbewerb nämlich erweitern, in dem sie eine „Vielfalt technischer Lösungsmöglichkeiten“ einbeziehen (OLG Schleswig, Beschl. v. 15.04.2011 – 1 Verg 10/10).

Nachdem die Parteien übereinstimmend die Erledigung erklärten, hatte der BGH nur noch über die Kosten zu entscheiden. Da er den Ausgang des Nachprüfungsverfahrens bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses als offen beurteilte, entschied der Bundesgerichtshof auf eine hälftige Kostenteilung. Hierzu führt der BGH aus, dass die Nebenangebotszulassung im reinen Preiswettbewerb eine Zweifelsfrage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffe. Ohne die übereinstimmende Erledigungserklärung hätte der Senat vor einer Entscheidung in der Hauptsache daher den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht: Zwar könne sich die Auffassung des OLG Düsseldorf auf den Wortlaut und den systematischen Zusammenhang der Richtlinienvorschriften stützen. Jedoch sieht der BGH diese Auffassung im Konflikt zu dem Hauptziel der Vergabekoordinierungsrichtlinie, eine kostengünstige Beschaffung im Wettbewerb zu organisieren. Ließe man allerdings Nebenangebote auch im reinen Preiswettbewerb zu, sei fraglich, ob diese überhaupt wie das Hauptangebot allein nach dem Kriterium des niedrigsten Preises gewertet werden dürften, weil dann die graduellen Qualitätsunterschiede, die Nebenangebote gerade kennzeichnen, ausgeblendet werden müssten. Dies erscheine – so der BGH – mit dem Gebot einer wirtschaftlichen Beschaffung schwerlich vereinbar.

Insgesamt hat der Bundesgerichtshof damit mehr Fragen aufgeworfen als gelöst. Solange der Europäische Gerichtshof nicht für Klarheit sorgt, bleibt die Vergabepraxis weiterhin gespalten. Den Vergabestellen im Bund und in Nordrhein-Westfalen empfiehlt Wollmann & Partner, auf eine Zulassung von Nebenangeboten im reinen Preiswettbewerb zu verzichten und stattdessen qualitative Zuschlagskriterien zu etablieren. Nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf ist den Bietern sonst Gelegenheit zur Abgabe neuer Hauptangebote einzuräumen, weil sie in Ansehung ihres chancenreicheren – im reinen Preiswettbewerb aber nicht zugelassenen – Nebenangebotes auf eine spitze Kalkulation auch ihres Hauptangebotes verzichteten (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.11.2011 – Verg 22/11).

BGH, Beschluss vom 23.01.2013 – X ZB 8/11

RA Dr. Jörg Stoye