Wann sind Vertragsregelungen ausgehandelt im Sinne des AGB–Rechts?

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Am 22.11.2012 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine sogenannte „bring or pay“–Klausel, nach der das gesamte vereinbarte Entgelt für den Fall der nicht vollständig in Anspruch genommenen Vertragsleistung gezahlt werden muss, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) unwirksam ist. Weitere zentrale Rechtsfrage der Entscheidung war, ob die betreffende Vertragsregelung von den Parteien individuell ausgehandelt worden ist im Sinne von § 305 Abs. 1 S. 3 BGB.

Zwei Entsorgungsunternehmen beabsichtigten, einen Vertrag über Entsorgungsleistungen abzuschließen. Der Entwurf für den Vertrag, der von der Klägerin erstellt worden war, enthielt eine so genannte „bring or pay“-Klausel, nach der das Entgelt für die quartalsmäßig festgelegte Abfallmenge auch dann gezahlt werden muss, wenn weniger als die vereinbarte Menge Abfall geliefert wird und auch kein Ausgleich über Mehrlieferungen im ersten Monat des folgenden Quartals möglich ist. Nach Auffassung der Klägerin solle diese Regelung einen notwendigen und angemessenen Ausgleich für die Vorhaltung der Entsorgungskapazitäten sein. Die Beklagte monierte sowohl die vorgesehene Vertragslaufzeit, als auch die „bring or pay“–Klausel in dem Entwurf und schlug eine Regelung vor, wonach kein Ausgleich für Mindermengen gezahlt wird, wenn der Klägerin nachweisbar kein Schaden entstanden ist. Die Klägerin übersandte anschließend einen überarbeiteten Vertragsentwurf, der die von der Beklagten gewünschte (gekürzte) Vertragslaufzeit enthielt, während die „bring or pay“–Klausel aus dem ursprünglichen Entwurf unverändert blieb. Mit der Klage verlangte die Klägerin Ausgleichszahlungen für Mindermengen nach der „bring or pay“–Klausel.

Der BGH greift in seiner Entscheidung zwei Aspekte des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf: Er prüft detailliert, ob die betreffende Vertragsklausel als AGB qualifiziert werden kann und bejaht dies. Ausschlaggebend war dabei für den BGH die Regelung des § 305 Abs. 1 S. 3 BGB, wonach die betreffende Vertragsregelung ausgehandelt sein muss, um der Inhaltskontrolle entzogen zu sein. Der BGH stellt klar, dass das Aushandeln mehr erfordert als das Verhandeln. Nur wenn der Verwender den Kerngehalt der Regelung ernsthaft zur Disposition stellt und dem Vertragspartner die reale Möglichkeit zur Gestaltung der Regelung einräumt, kann die Regelung ausgehandelt sein. Diese Voraussetzungen erkannte der BGH nicht, weil die Klägerin selbst die Einbeziehung der „bring or pay“–Klausel als notwendigen Ausgleich bezeichnet hat. Damit hat die Klägerin selbst zu erkennen gegeben, dass die Regelung nicht ernsthaft zur Disposition gestellt wurde. Auch der Umstand, dass zunächst Änderungen des ursprünglichen Entwurfes erörtert wurden, stellt kein Aushandeln dar. Da die betreffende Regelung im Ergebnis nicht geändert wurde, wäre von einem Aushandeln der Klausel nur dann auszugehen, wenn die Beklagte ihre Bedenken gegen die Klausel als Ergebnis des Verhandlungsprozesses aufgegeben und die Klausel als sachlich gerechtfertigt in ihren rechtsgeschäftlichen Willen aufgenommen hätte. Dazu ist die bloße Erörterung anschließend nicht umgesetzter Änderungen zu einem Vertragsentwurf allein nicht ausreichend.

Soweit die Regelung mithin eine AGB darstellt, wurde sie der Inhaltskontrolle unterzogen, wobei der BGH eine unangemessene Benachteiligung der Beklagten durch die Vertragsklausel gemäß § 307 BGB erkannte. Maßgebend war insoweit, dass die „bring or pay“–Klausel inhaltlich darauf gerichtet ist, die Vollauslastung der Entsorgungsanlage finanziell abzusichern. Dabei handelt es sich nach Auffassung des BGH nicht um einen Anspruch, der eine Entschädigung für die Entsorgungsleistung als Hauptleistungspflicht darstellt. Da die Klausel also der Verlagerung des unternehmerischen Risikos dient und zusätzliche Erwerbschancen für die Klägerin eröffnet, führt sie zu einer unangemessenen Benachteiligung der Beklagten. Der BGH lehnte den geltend gemachten Anspruch demnach ab.

Mit dieser Entscheidung definiert der BGH die Voraussetzungen des Aushandelns im Sinne von § 305 Abs. 1 S. 3 BGB konkreter. Damit wird klargestellt, dass die Voraussetzungen für ein Aushandeln nicht ohne weiteres schon dann gegeben sind, wenn Vertragsentwürfe bei der Vertragsverhandlung erörtert werden. Dabei handelt es sich nach Einschätzung von Wollmann & Partner Rechtsanwälte um eine wichtige Klarstellung zur Abgrenzung zwischen Individualregelungen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

BGH, Urteil vom 22.11.12, Az.: VII ZR 222/12

RA und Notar Michael Ch. Bschorr